Vorzeitige Besitzeinweisung
Die vorzeitige Besitzeinweisung ist eine Besonderheit des Enteignungsrechts. Sie wird dem Enteignungsverfahren vorgeschaltet. Sollten sich in der Folgezeit die Beteiligten nicht über den Eigentumsübergang oder die Belastung des Grundstücks einigen, schließt sich ein Enteignungsverfahren an.
Die vorzeitige Besitzeinweisung ist für eilbedürftige Infrastrukturmaßnahmen vorgesehen. Eilbedürftige Maßnahmen sind solche, die derart dringend sind, dass Projektträger:innen noch vor dem Abschluss eines Enteignungsverfahrens zum Wohl der Allgemeinheit mit ihnen beginnen müssen.
Besitz
Wie der Begriff es schon ausdrückt, geht es hier lediglich um den Besitz, nicht um das Eigentum an einem Grundstück. Der Besitz bezeichnet die tatsächliche Sachherrschaft über ein Grundstück und liegt zum Beispiel bei Pacht- und Mietverhältnissen nicht beim Grundstückseigentümer.
Wird der Projektträger vorzeitig in den Besitz der benötigten Flächen eingewiesen, kann er mit den Baumaßnahmen beginnen, ohne das Eigentum oder eine entsprechende Grunddienstbarkeit erlangt zu haben.
Eine Besitzeinweisung ist auch für einen Arbeitsstreifen möglich. Ein Arbeitsstreifen ist eine Fläche, die nur während einer Bauphase in Anspruch genommen wird, zum Beispiel um Arbeitsmaterial zu lagern.
Voraussetzungen der vorzeitigen Besitzeinweisung
Eine vorzeitige Besitzeinweisung setzt voraus, dass einem Enteignungsantrag mit hoher Wahrscheinlichkeit entsprochen würde.
Der sofortige Beginn der Bauarbeiten auf dem betroffenen Grundstück muss (dringend) geboten sein. Er muss einen erheblichen Schaden von der Allgemeinheit abwenden.
Hinzu kommen weitere besondere Voraussetzungen:
- Die Eigentümer oder die Besitzer weigern sich, dem Projektträger den Besitz der benötigten Flächen mit einer Bauerlaubnis zu überlassen.
- Die planungsrechtlichen Voraussetzungen müssen vorliegen (beispielsweise ein vollziehbarer Planfeststellungsbeschluss oder ein rechtswirksamer Bebauungsplan).
- In einem Verfahren nach dem Baugesetzbuch (BauGB) muss bereits ein Enteignungsantrag gestellt sein.
Besitzeinweisungsverfahren
Das Besitzeinweisungsverfahren wird mit verkürzten Verfahrensfristen durchgeführt.
Den Antrag können Projektträger allein oder gleichzeitig mit einem Enteignungsantrag stellen. Die Einzelheiten zum Antrag entnehmen Sie bitte der Checkliste für den Antrag auf vorzeitige Besitzeinweisung.
Auch nachdem ein Enteignungsbeschluss beklagt worden ist, können Projektträger:innen bei eiligen Maßnahmen noch die vorzeitige Besitzeinweisung beantragen.
Das Besitzeinweisungsverfahren ist ein Eilverfahren. Trotzdem muss der Antragsteller mit einer Verfahrensdauer von circa 8 - 9 Wochen rechnen. Diese Dauer ergibt sich aus den gesetzlich vorgegebenen Fristen sowie der erforderlichen mündlichen Verhandlung.
Antragsteller:innen sollten diesen Zeitraum in ihre Terminpläne mit einkalkulieren und etwaige Besitzeinweisungsanträge rechtzeitig stellen.
Auch in diesem Verfahren ist die Enteignungsbehörde stets bestrebt, eine gütliche Einigung der Beteiligten zu erzielen. Den Ablauf des Besitzeinweisungsverfahrens entnehmen Sie bitte auch der Broschüre Enteignung.
Einen Antrag auf vorzeitige Besitzeinweisung kann der Projektträger bei der Enteignungsbehörde stellen. Voraussetzung ist, dass die betroffenen Grundstückseigentümer oder Besitzer:in ein angemessenes Kauf- beziehungsweise Entschädigungsangebot ausgeschlagen haben und keine Bauerlaubnis erteilen.
Der Antrag muss mit den erforderlichen Unterlagen eingereicht werden. Besonders die Eilbedürftigkeit der Maßnahme muss der Projektträger begründen. Der Antrag ist in dreifacher Ausfertigung plus je ein Exemplar für jeden Beteiligten einzureichen.
Alle nötigen Angaben entnehmen Sie bitte dem "Merkblatt für den Antrag auf vorzeitige Besitzeinweisung" im Downloadbereich.
Anhörung
Mit einer Anhörung ermöglicht die Enteignungsbehörde den Beteiligten nach Eingang der Antragsunterlagen, ihre Standpunkte darzulegen. Je nach Eilbedürftigkeit kann die Anhörung gleichzeitig mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung stattfinden.
Beteiligte
Beteiligte in einem Besitzeinweisungsverfahren sind insbesondere
- der Antragsteller (in der Regel ist das der Projektträger, zum Beispiel die Straßenbaubehörde oder die Kommune),
- die Eigentümer:innen,
- die unmittelbaren Besitzer (zum Beispiel Mieter oder Pächter) und
- sonstige Personen, deren Besitz- oder Nutzungsrechte berührt sind (zum Beispiel Wegeberechtigte).
Gutachten zum Grundstückszustand
Die Enteignungsbehörde lässt in der Regel ein Gutachten zum Grundstückszustand erstellen. Dafür beauftragt dafür den zuständigen unabhängigen Gutachterausschuss für Grundstückswerte oder einen öffentlich bestellten und vereidigten Gutachter. Das Gutachten dokumentiert den aktuellen Zustand des betroffenen Grundstücks. Es gewährleistet, dass auch nach Umgestaltung des Grundstücks eine gesicherte Wertermittlung möglich ist. Das Gutachten geht allen Beteiligten zu.
Ladung zur mündlichen Verhandlung
Die Enteignungsbehörde lädt alle Beteiligten zu einer mündlichen Verhandlung förmlich ein. Um das Verfahren zügig durchzuführen, beträgt die Ladungsfrist nur 2-3 Wochen.
Mündliche Verhandlung
Eine mündliche Verhandlung ist zwingend vorgeschrieben. Sie ist nicht öffentlich. Es dürfen nur die Beteiligten und ihre Bevollmächtigten daran teilnehmen.
Mit der mündlichen Verhandlung soll umfassender Rechtsschutz gewährleistet werden. Insbesondere sollen die Beteiligten zu Wort kommen.
Die Enteignungsbehörde versucht, auf eine gütliche Einigung der Parteien hinzuwirken. Gemeinsam mit den Betroffenen erörtert sie in der mündlichen Verhandlung die Sach- und Rechtslage.
Über die Höhe der Entschädigung wird nicht verhandelt. Sie ist nicht Gegenstand des vorzeitigen Besitzeinweisungsverfahrens.
Bauerlaubnis
Die Grundstückseigentümer:innen und die Besitzer können zu jeder Zeit eine Bauerlaubnis vorbehaltlich aller Entschädigungsansprüche erteilen. Die Bauerlaubnis ist eine privatrechtliche Vereinbarung zwischen dem Projektträger und der jeweils betroffenen Person.
Die Frage der endgültigen Entschädigung prüft die Enteignungsbehörde dann gegebenenfalls in einem gesonderten Verfahren (zum Beispiel Enteignungsverfahren). Die Betroffenen erfahren keine finanziellen Nachteile, wenn sie die Bauerlaubnis erteilen. Denn die später festzusetzende Entschädigung wird ab dem Tage der Besitzüberlassung verzinst.
Die Erteilung einer Bauerlaubnis beendet das Besitzeinweisungsverfahren.
Besitzeinweisungsbeschluss
Über den Besitzeinweisungsantrag entscheidet die Enteignungsbehörde durch Beschluss. Sie stellt den Besitzeinweisungsbeschluss dem Antragsteller, den Eigentümern und den Besitzern zu.
Liegen die gesetzlichen Voraussetzungen vor, hat die Enteignungsbehörde kein Ermessen, sondern muss den Antragsteller in den Besitz der benötigten Flächen einweisen.
Der Besitzeinweisungsbeschluss legt den Zeitpunkt fest, in dem der Besitz auf den Projektträger übergeht.
Sobald die Besitzeinweisung wirksam wird, setzt die Verzinsung des Entschädigungsanspruches ein.
Der Besitzeinweisungsbeschluss kann im öffentlichen Interesse für sofort vollziehbar erklärt werden.
Rechtsbehelf
Betroffene können gegen den Besitzeinweisungsbeschluss klagen oder ihn mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung anfechten. Nachdem die Entscheidung zugestellt wurde, muss innerhalb eines Monats der Rechtsbehelf bei der zuständigen Stelle eingegangen sein.
Welches Rechtsmittel bei welcher Stelle einzureichen ist, führt die Rechtsbehelfsbelehrung auf. Die Rechtsbehelfsbelehrung erhalten Betroffene mit dem Beschluss.