Jugendliche laufen auf die Kamera zu

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Literaturcafé

Zwei Jugendliche trinken Tee, eine ist als alte Frau verkleidet

3.5 Literaturcafé
Und sie begann zu erzählen...

Projekt für die Jahrgangsstufen 5 – 13

Zum ersten Mal, seit ich denken konnte, freute ich mich nicht auf die Ferien. Dabei waren bisher die Herbstferien immer die schönsten gewesen: Wir fuhren zu meiner Oma, und meist ließen meine Eltern mich dort, weil sie mich wenigstens einmal im Jahr für ein paar Tage „unter den Füßen weg“ haben wollten. Jedes Mal war es herrlich, weil ich bei Oma all die Dinge tun durfte, die zuhause nicht erlaubt waren. Und sie hatte Zeit und Geduld für all meine Fragen. Das war das Schönste, weil ich schon immer ziemlich neugierig war. Auch meine Eltern gaben sich natürlich Mühe, dem manchmal wohl etwas anstrengenden Kind, das ich war, alle Fragen zu beantworten, aber sie waren oft gestresst, weil sie beide arbeiten mussten. Ferien bei meiner Oma, das hatte immer zwei Wochen Paradies am Stück bedeutet.

Doch diesmal war alles anders. Es hatte damit begonnen, dass Oma mir Bilder von einem Altenheim in ihrer Stadt geschickt und mich gefragt hatte, wie mir „der Bau“ gefalle. Als ich beim Abendessen meinen Eltern davon erzählte, sagte meine Mutter, dass sich Oma entschieden habe, im Herbst dort einzuziehen. In ihrem Alter wolle sie sich die Arbeit in der eigenen alten und eigentlich viel zu großen Wohnung nicht mehr zumuten. „Mir reicht’s. Ich bin ein bisschen müde“, hatte Oma mir dann geschrieben, nachdem ich – meine traditionellen Herbstferien im Blick – protestiert hatte. Ihr Entschluss schien festzustehen und passte zu ihr: Meine Oma hatte immer schon ihr Leben selbst in die Hand genommen – jedenfalls hatte ich sie nie anders erlebt. „Im Herbst kommt ihr einfach wie jedes Jahr, und unser Abenteuer wird es dann sein, meinen Haushalt aufzulösen“, hatte sie noch geschrieben. Und irgendwann am Telefon gesagt: „Dann kriege ich wenigstens mit, was bei wem bleibt, und muss mir keine Gedanken über ein paar Sachen machen, die mir doch ans Herz gewachsen sind. Besser so, als dass alles nach meinem Tod in einem großen Müllcontainer landet.“

Auf der Fahrt waren wir weniger ausgelassen als sonst. Ich musste daran denken, dass Oma irgendwann tatsächlich nicht mehr da sein würde. Ich ließ die Landschaft an mir vorbeiziehen und erwischte mich irgendwann dabei, wie ich in Gedanken durch ihre Wohnung ging und überlegte, was ich unbedingt behalten wollte. Es gab tatsächlich einige Dinge: meine Stammtasse und die alte Teekanne, den dunkelroten Sessel aus dem Schlafzimmer, in dem Oma so oft saß, das handgeschriebene Heft mit den Backrezepten und das Familienfoto in Schwarzweiß, das zusammen mit anderen Fotos in der Diele an der Wand hing.

Natürlich kannte ich jeden Winkel in Omas Wohnung – so oft, wie ich da gewesen war. Es gab nichts bei ihr, was ich nicht schon gesehen hatte. Das dachte ich jedenfalls, während ich aus dem Autofenster sah.

Irgendwann kamen wir an. Die Begrüßung wie immer mit langen Umarmungen und einer Menge Küssen. Oma hatte Kakao vorbereitet. Richtig dickflüssig und mit reichlich Sahne. Und Apfelkuchen gebacken. Mit Streuseln: „Einmal noch den alten Herd herausfordern“, hatte sie lächelnd gesagt. Richtigen Hunger hatte ich nicht – aber ihren Kuchen nicht zu essen, das ging dann auch nicht. Nach dem zweiten Stück war ich mit dem „Schulbericht“ durch und hatte Oma auf den neuesten Stand gebracht, was Freundinnen und Freunde und „meine Beziehung“ anging.

Dann saßen wir etwas unentspannt um den Tisch herum, bis Oma anfing: „Es ist besser so. Langsam werde ich halt doch alt. Noch kann ich die Entscheidung selbst treffen. Ihr wisst, wie wichtig mir das ist. Und wenn ich dann noch weiß, wer von euch welche Dinge mitnimmt und ihnen ein neues Zuhause gibt, kann ich mich beruhigt trennen.“ Sie hatte nie viel gehabt, war keine reiche Frau, meine Oma. Das mochte erklären, warum ihr daran gelegen war zu wissen, was aus den Sachen wurde. Ins Heim würde sie nur wenig mitnehmen, die Fotoalben, einige Hefte, in die sie sporadisch so etwas wie Tagebuchnotizen geschrieben hatte, zwei oder drei der einfach gerahmten Bilder oder Fotos von den Wänden und einen Koffer mit ihrer Lieblingskleidung. Alles sonst würde sich schon „ergeben“.

Meine imaginäre Autofahrtliste ging offensichtlich in Ordnung, jedenfalls nickte Oma bei jedem Gegenstand zustimmend. Und nachdem meine Eltern aufgelistet hatten, was sie wie weiterverwenden wollten, lächelte sie beruhigt. „Das ist gut. Prima. So geht nichts Wichtiges verloren.“ Dann stand sie etwas mühselig auf und verschwand für einen Moment aus dem Zimmer. Als sie zurückkam, hielt sie einen kleinen, alten Schuhkarton in den Händen. Sie gab ihn mir und sagte: „Das ist für dich. Das Wertvollste, was es in dieser Wohnung gibt. Weil du mir in all den Jahren so viele Fragen gestellt und meinen Antworten wirklich zugehört hast. Ich hatte den Karton gut versteckt. Jetzt sollst du ihn haben.“ „Was ist drin?“, fragte ich. „Schau einfach nach!“, sagte sie. Vorsichtig hob ich den Deckel. In dem Karton befanden sich ein paar Fotos. Darauf Männer mit schwerem Gepäck und Frauen mit Kindern auf dem Arm. Und manchmal auch nur ein Mann. Immer derselbe. Dazu einige wenige Briefe, manche auf den ersten Blick privat, manche eher „offiziell“ aussehend. Dann ausgeschnittene Zeitungsartikel. Und ein kleines Sammelsurium an anderen Dingen, darunter eine Haarlocke und etwas, das wie ein alter, rostiger Hausschlüssel aussah. Und schließlich eine Todesanzeige.

„Was ist all das?“, fragte ich. „Das ist vor allem eine lange Geschichte“, sagte Oma.

Und sie begann zu erzählen…

Der Geschichtsanfang, den uns der Bochumer Autor Christopher Wulff in diesem Jahr vorlegt, ist etwas anders als sonst: Kein Ort ist festgelegt, und die erzählende Person ist wenig greifbar. Auch ist nicht vorweggenommen, von welcher Zeit und welchem historischen Ereignis die Oma zu erzählen beginnt.

Eure Aufgaben

Jahrgangsstufen 5 – 13

Setzt den Geschichtsanfang fort und bringt die Erzählung zu Ende! Wie Ihr weitermacht, das entscheidet Ihr selbst: Ihr könnt bei der Ich-Erzählung bleiben, Ihr könnt aber natürlich auch aus der Perspektive der Oma weitererzählen. Vielleicht befragt Ihr zuvor tatsächlich Menschen – Verwandte, Bekannte, Freunde – über das Leben „früher“ und besondere Ereignisse. Möglicherweise findet Ihr sogar eine Antwort darauf, warum die Oma erst jetzt zu erzählen beginnt.

Wie immer bestimmt Ihr die Textgattung und -sorte selbst: Roman, Erzählung, Kurzgeschichte, graphic novel, Tagebuch, Briefroman, Filmdrehbuch, Theaterstück etc. – Euch sind hier keine Grenzen gesetzt!

Ganz egal für welche Form Ihr Euch entscheidet, sind zwei Dinge wichtig: Korrigiert Euren Text sorgfältig, bevor Ihr ihn einreicht, und gebt ihm eine ansprechende äußere Form, indem Ihr ihn vielleicht illustriert, heftet oder bindet, ein Layout wählt, das Euren Text gut lesbar macht und dergleichen mehr.

Fachbereiche

Deutsch, Literatur (Film), Geschichte, Kunst, Darstellen und Gestalten (auch fächer- und jahrgangsstufenübergreifend)

Arbeitsformen

Einzelarbeiten, Gruppenarbeiten, Partnerarbeiten

Weitere Projekte

Viele weitere Projekte findet Ihr in den anderen Themenbereichen. Schaut einfach mal hinein, ob Ihr weitere spannende Aufgaben findet.

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